Zeitarbeit macht aktuell rund 2,5 % aller sozialversicherungspflichtigen Jobs in Deutschland aus. Aus Sicht der Wirtschaft und aus Arbeitnehmersicht bietet diese Beschäftigungsform eine Reihe von Vorteilen. Wie bewerten Sie die Rolle der Zeitarbeit in Deutschland?
Kahnt: Leih- bzw. Zeitarbeit bietet Unternehmen eine flexible Möglichkeit, auf betriebliche Beschäftigungsengpässe zu reagieren, so dass kurzfristig Stellen für wenige Tage oder Monate besetzt werden können. Aus Sicht der Unternehmen bietet sie Vorteile, aus Sicht der Arbeitnehmerschaft eher weniger. Es gibt Kritikpunkte: Wer will denn als Arbeitnehmer eine Beschäftigung eingehen, die nach nur kurzer Zeit wieder zu Ende ist? Und: wer will denn einer kurzfristigen Beschäftigung nachkommen, bei der überwiegend Hilfsarbeiterdienste verrichtet werden? Ich bin der Auffassung, dass Leih- bzw. Zeitarbeit nach einer sechsmonatigen Beschäftigungszeit in ein festes Beschäftigungsverhältnis zu überführen sind. Zeitarbeitsverträge dürften auch höchstens nur einmal verlängert werden und sollten nur unter festgelegten Bedingungen abgeschlossen werden.
Zeitarbeit ist tarifierte, zumeist unbefristete, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit einem allgemeinverbindlichen Mindestlohn. Trotzdem wird sie teilweise immer noch kritisch gesehen. Wie kann Ihrer Meinung nach die gesellschaftspolitische Akzeptanz der Personaldienstleistung gesteigert werden?
Kahnt: Zeitarbeit orientiert sich zwar am gesetzlichen Mindestlohn, dennoch ist Fakt, dass Zeitarbeiter im Schnitt weniger verdienen als Arbeitnehmer in unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen. Hilfsarbeitsdienste werden naturgemäß geringer entlohnt. Kritische Einwände oder Einstellungen sind daher nicht unbegründet: Leih- bzw. Zeitarbeiter verdienen etwa ein Drittel weniger. So kommen unbefristet Beschäftigte auf ein monatliches Einkommen von 3.024 €, Leih- bzw. Zeitarbeiter auf lediglich 1.758 €.
Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ist in dieser Legislaturperiode in wesentlichen Punkten geändert worden (Lohngleichheitsregeln/ Höchstüberlassungsdauer/ Streikeinsatzverbot etc.); eine Evaluierung dieser Maßnahmen ist für 2020 geplant. Sind Sie der Meinung, dass die gesetzlichen bzw. tariflichen Regelungen für die Branche ausgewogen sind, oder sehen Sie Handlungsbedarf?
Kahnt: Im Jahr 2015 gab es beinahe eine Million Leiharbeiter, 26 % der Leih- bzw. Zeitarbeiter verfügen über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse wirken sich negativ auf den Wohlstand aus mit negativen Auswirkungen auf die Demografie. Zudem leidet der Aufbau der eigenen Altersvorsorge unter befristeten Beschäftigungsverhältnissen. Handlungsbedarf besteht auf mehreren Ebenen. Der Staat müsste den Bildungsbereich und die duale Ausbildung vermehrt finanziell wirkungsvoll unterstützen, so dass von vornherein es durch Qualifizierung zu nur wenigen Beschäftigungsverhältnissen kommen kann, die auf dem Arbeitsmarkt keine oder nur geringe Vermittlungschancen besitzen. Und die Leih- bzw. Zeitarbeitsfirmen müssten nur mit einer gesetzlichen Obergrenze von max. 15 % Beschäftigten mit Leihverträgen ausgestattet werden.
Keine andere Branche hat bislang so viele Flüchtlinge in Beschäftigung integriert wie die Zeitarbeit. Wie stehen Sie zu einem dauerhaften Wegfall der Vorrangprüfung durch die Bundesagentur für Arbeit bei der Flüchtlingsbeschäftigung durch Zeitarbeit, die zunächst nur auf drei Jahre begrenzt wurde?
Kahnt: Es ist nicht verwunderlich, dass ausgerechnet die Zeitarbeitsbranche Migranten Beschäftigungsmöglichkeiten anbietet. Die große Masse der Migranten verfügt über keine Schul- oder Berufsausbildung, selbst da wird es mit Schwierigkeiten verbunden sein, qualifiziertes Personal einzustellen. Nur nebenbei: Einer Studie (Wößmann, München) zufolge hinken z. B. syrische Schüler deutschen Schülern um fünf Schuljahre hinterher. Das allein sagt bereits viel aus über Vermittlungschancen von Migranten auf dem ersten Arbeitsmarkt. Es ist deswegen vorstellbar bzw. nachvollziehbar, dass Migranten jeden Zeitarbeitsjob annehmen, auch wenn er nur mit ein paar Euro entlohnt wird. Wenn es infolgedessen noch zu einem Verdrängungswettbewerb mit anderen Zeitarbeitern kommt, entstehen doppelte Belastungen, die zu vermeiden sein sollten.