Hessen kehrt am 27. April 2020, wenn auch zunächst nur schrittweise, zur Normalität des Schulbetriebs zurück, nachdem infolge der Corona-Epidemie der Präsenzunterricht per Verordnung landesweit über Wochen ausgesetzt worden ist. Zunächst beginnt der Präsenzunterricht für alle Viertklässler, sowie für die 9. Jahrgangsstufe der Hauptschulen und die 10. Jahrgangsstufe der Realschulen. Außerdem beginnt die Schule für die Qualifikationsphase (Q2) der gymnasialen Oberstufe und die Abschlussklassen an Fachschulen. Überdies gibt es eine schrittweise Öffnung an Förderschulen und für Abschlussklassen an beruflichen Schulen.
Der Termin für die Haupt- und Realschulprüfungen wurde auf die Woche vom 25. bis 29. Mai verschoben, somit haben die betroffenen Schülerinnen und Schüler noch Gelegenheit sich im Präsenzunterricht auf ihre Prüfungen vorzubereiten. Ich halte das für sehr wichtig, da die Ergebnisse der Abschlussprüfungen für das gesamte weitere Berufsleben der Schüler entscheidend sein werden. Auch die Öffnung des Schulbetriebs für Viertklässler ist sinnvoll, da diese nach den Sommerferien auf weiterführende Schulen wechseln.
Wie die schrittweise Öffnung des Schulbetriebs in der Praxis aussieht, bleibt abzuwarten. Erste Schätzungen gehen davon aus, dass rund ein Drittel der Lehrkräfte vorerst nicht in den Lehrbetrieb zurückkehren kann, weil sie selbst oder Familienangehörige zu Risikogruppen gehören. Gleichermaßen müssen Schülerinnen und Schüler geschützt werden, die entweder selbst (z. B. Asthmatiker) zu Risikogruppen gehören, oder im Haushalt lebende Familienmitglieder.
Was kann also getan werden, um die Schule nicht zum Infektionsherd werden zu lassen? Die Kultusministerkonferenz wurde beauftragt, bis zum 29. April tragfähige Konzepte zu erstellen, wie die Rückkehr in den Präsenzunterricht gelingen kann und gleichzeitig die Anforderungen des Infektionsschutzgesetzes eingehalten werden.
Zunächst stellen sich grundsätzliche Fragen: Wie kann der Mindestabstand von mindestens 1,5 Metern in den Klassenräumen, aber auch während der Pausen, eingehalten werden, insbesondere bei jüngeren Kindern? Gibt es genügend Seife, Desinfektionsmittel und Papierhandtücher in den sanitären Anlagen der Schulen? Wie kann die Schülerbeförderung organisiert werden? Sollen Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte Schutzmasken tragen?
Allein aus diesen Fragen leiten sich weitere Fragen und Problemstellungen ab. Die meisten Klassenverbände, gerade auch in den unteren Klassen, sind zu groß, um bei vorherrschend traditionell konzipierten Klassenraumgrößen notwendige Abstandsregeln einzuhalten. Also müssen Klassen geteilt werden. Derzeit gibt es Überlegungen, die von „Schichtunterricht“ über nur 1-2 Präsenztage pro Woche bis hin zu jeweils einer Woche Unterricht und im Wechsel mit dem zweiten Teil der Klasse in der folgenden Woche unterrichtsfrei reichen. Eine Reduzierung des Unterrichts auf Kernfächer scheint vorerst unausweichlich.
Aus meiner Sicht muss in einem ersten Schritt festgestellt werden, welche Lehrkräfte für welche Unterrichtsfächer überhaupt uneingeschränkt für den Präsenzunterricht zur Verfügung stehen. Danach muss die Kapazität hinsichtlich der Klassenräume in den jeweiligen Schulen geprüft werden. Tatsächlich kehren ab 27. April nur jeweils eine Jahrgangsstufe pro Schulform in den Präsenzunterricht zurück. Vorbehaltlich ausreichender Lehrkräfte könnte demnach ein parallel stattfindender Unterricht für die geteilten Klassen möglich sein.
Hinsichtlich der sanitären Einrichtungen an Schulen gibt es ohne Zweifel etlichen Nachholbedarf. So wurden Waschbecken in Klassenräumen abgebaut und in den Toilettenanlagen der Schulen werden nach wie vor Seife und Papierhandtücher missbräuchlich benutzt oder verschwinden auf Nimmerwiedersehen, so dass öfter fehlende Wiederauffüllung bemängelt wird. Neben der Abstandsregel ist aber gerade Hygiene an unseren Schulen in der derzeitigen Lage unverzichtbar.
In der Frage, Maskenpflicht oder nicht, sind sich nicht einmal Experten einig. Mund-Nase-Masken schützen den Träger in aller Regel nicht vor Ansteckung, können allerdings Tröpfcheninfektion durch den Träger auf andere vermindern helfen. Das funktioniert aber nur, solange die Masken richtig getragen und nicht mit ungewaschenen Händen angefasst werden.
Die Herausforderungen durch die Corona-Krise werden uns auch im Bildungsbereich noch längere Zeit erhalten bleiben. Die jetzt beschlossene schrittweise Rückkehr in den Schulbetrieb ist aus meiner Sicht durchaus mit Umsicht erfolgt. Es bleibt allerdings abzuwarten, wie die Umsetzung von der Theorie in die Praxis aussehen wird. Dabei wird man gewiss noch an der einen oder anderen Stellschraube im Kultusministerium wie auch an den Schulen vor Ort drehen müssen, so dass die schrittweise Öffnung des Schulbetriebs nicht von Rückschlägen getroffen wird.