Ansprache des Alterspräsidenten Rolf Kahnt (AfD)
bei der Konstituierung des Hessischen Landtags in seiner 20. Wahlperiode
am 18.01.2019 im Hessischen Landtag in Wiesbaden
In seiner Eröffnungsrede bei der Konstituierung des ersten hessischen Landtages am 19. Dezember 1946,
sehr geehrten Damen und Herren,
verehrte Kolleginnen und Kollegen,
liebe Ehrengäste,
betonte der Chef der US-Militärregierung, Oberst James Newman, er blicke mit berechtigtem Stolz auf die Demokratisierung Hessens. Wenige Monate zuvor wählte die hessische Bevölkerung ihre Kreistage und Kommunalparlamente. Nach zwölf Jahren menschen-verachtender Diktatur und Gewaltherrschaft, die weltweit millionenfaches Leid brachten, fand in freien Wahlen die demokratische Übertragung politischer Verantwortung auf gewählte Abgeordnete statt. Auch wir haben im Rückblick auf mehr als 70 Jahre gelebter Demokratie allen Grund, auf diesen demokratischen Aufbau stolz und zugleich dankbar zu sein.
Obwohl demokratische Errungenschaften heute als Selbst-verständlichkeit verstanden werden, daraus erwachsende Ansprüche müssen stetig fortentwickelt und gelebt werden. Diese Erkenntnis findet sich bereits in Willy Brandts erster Regierungserklärung mit der Formulierung wieder: „Wir wollen mehr Demokratie wagen“. Das am 28. Oktober neugewählte hessische Parlament fängt zwar neu an, aber nicht von vorne. 19 vorangegangene Wahlperioden kräftigten die demokratische Entwicklung Hessens, so dass für die 20. Wahlperiode des Landtages nur zu wünschen übrigbleibt, noch mehr demokratisches Miteinander zu wagen, und Mut aufeinander zuzugehen.
Hessen, meine Damen und Herren, ist nicht schwach, es zählt zu den stärksten Bundesländern. Auch geografisch gesehen, kommt kaum einer daran vorbei. Hessen, das steht für landschaftlich bezaubernd und ökonomisch vorbildlich. Es ist ein starkes Flächenland, in dem unsere Bürger täglich herausragende Leistungen erbringen, ob in Wirtschaft, Industrie und Handel, Wissenschaft oder Kultur. Viele hunderttausend Ehrenamtliche stellen sich zudem in Politik und Vereinen mit freiwilliger Leistung in den Dienst unserer Gemeinschaft. Sie leisten Wertvolles. Auch ihnen schulden wir Respekt und Dankbarkeit.
Zu Hessens Stärken darf man auch den Hessischen Landtag zählen. Er gilt landläufig als „härtestes Parlament Deutschlands“1: Weichgespülte parlamentarische Schonwaschgänge haben hier eher Seltenheitswert. Man versteht sich gut aufs Austeilen, mancher steckt das nur schlecht weg. Von gewöhnungsbedürftigen Wechselbädern sollten sich neugewählte Abgeordnete jedoch nicht abschrecken lassen. Sie gehören zur Spezialität des parlamentarischen Alltags Wiesbadens wie andernorts das Sauerkraut zum Rippchen oder der Äppelwoi zum Handkäs’.
Mögen dabei die Zutaten manchmal leichtfertig sein, zimperlich sind sie nicht. Gar höchster Mund tat kund, politischen Widerspruch zu erledigen „wie früher auf dem Bau mit der Dachlatte.“2Auch weniger Schlagkräftiges findet sich: „Wir haben früher mit Knüppeln aufeinander gedroschen, heute pieken die Debattenredner einander mit spitzen Nadeln in den Hintern“3. Allgemeine Kopfschmerzen konnten schon die „hessischen Verhältnisse“ bei öfter fehlenden Mehrheits- oder Regierungsbündnissen auslösen. Unwohlsein die bloße Ankündigung einer „brutalstmöglichen Aufklärung“4nach Ungereimtheiten in Finanzierungsfragen. Und Kopfschütteln, dass ein Amtseid in Turnschuhen und Jeans abgelegt wird – sichtbarer Ausdruck veränderter Kräfteverhältnisse sowie eines Zeitgeistes, mit dem Wertewandel und Kulturbruch einhergingen.
Das Wahlergebnis des 28. Oktober dokumentiert nicht zum ersten Mal in der Geschichte Hessens politische Veränderungen. Heute sind sechs Parteien im Landesparlament vertreten. Mathematisch betrachtet ist die Zahl 6 die erste und kleinste „vollkommene Zahl“. Sie wird auch „perfekte Zahl“ genannt und ist oft Gegenstand zahlenmystischer Deutungen. Manches davon mag stimmen, doch eines trifft zu: „Wir sind mehr!“5Volkes Stimme hat den Hessischen Landtag groß werden lassen wie nie: Überhang- und Ausgleichsmandate haben ihn auf 137 Mitglieder – oder gar mehr – anwachsen lassen. Dass diese sich nicht gleich zu Beginn gegenseitig auf die Füße treten, dafür sorgte die Landtagsverwaltung. Sie hat ihre organisatorischen Aufgaben gewohnt umsichtig bewältigt. Ihr möchte ich an dieser Stelle einen besonderen Dank aussprechen.
Die Zusammensetzung des neugewählten Landtages, Verdruss hin, Freude her, ist Spiegelbild gesellschaftlicher Wirklichkeit und nichts Ungewöhnliches. Die Koexistenz verschiedener Interessen und Lebensstile entspricht dem Abbild eines gesellschaftlichen Pluralismus, wie er sich in jeder freiheitlich-demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung herausbildet. Ernst Fraenkel6, Begründer westdeutscher Demokratietheorie, wies daraufhin, dass neben Kompromissbereitschaft jede funktionierende, pluralistische Demokratie zusätzlich der Spielregeln eines „fair play“ und eines allgemein anerkannten Wertekodexes bedürfe. Daran gerade heute zu erinnern, erscheint sinnvoll, meine Damen und Herren.
Denn nur ein pluralistischer Staat erlaubt bei aller inhaltlicher Gegensätzlichkeit in der Sache ausnahmslos allen Mitgliedern der Gesellschaft Meinungsfreiheit, im Gegensatz zu totalitärer Ideologie. Ohne Pluralismus gibt es keine Meinungsfreiheit, die verpflichtet ist, sich auf dem Boden unseres Grundgesetzes zu bewegen. Meinungsfreiheit ist also zugleich Meinungsvielfalt, und genau sie findet sich in den Kräfteverhältnissen des 28. Oktober wieder. Über das bloße Zahlenwerk hinaus entdeckt man das Phänomen einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Ausgerechnetdie im Wahlkampf von Parteien und Medien landauf, landab beschworene Diversität findet sich nun tatsächlich mit Vielfalt, Buntheit, Offenheit und Toleranz im hessischen Parlament wieder. Manchmal ist das Schicksal gnädig, meine Damen und Herren.
Jede Demokratie muss für Vielfalt stehen. Sie wird sich in ihrer politischen Verantwortung um den Ausgleich verschiedener Interessen bemühen müssen, um beste Lösungen zu finden. Dieser Ausgleich erscheint heute notwendiger denn je. Die gegenwärtige Veränderung unserer Parteienlandschaft erklärt sich auch damit, dass immer mehr Menschen eine Korrektur eines feststellbaren Wertewandels für dringlich erachten. Eines Wertewandels, der nicht immer Gutes bewirkte. Manche politischen Entscheidungen werden vermehrt als realitätsferne, auch als einseitig ideologisch-moralisch begründete wahr-genommen, bei denen Sach- und Faktenpolitik für das Gemeinwohl zu kurz kämen.
Diese und andere Erscheinungen mögen genug Anlass sein, in diesem Hohen Haus einenargumentativen Wettstreit um die besten Ideen zu führen. Der englische Staatsphilosoph Edmund Burke betonte bereits, „das Parlament ist kein Kongress von Botschaftern im Dienste verschiedener und feindlicher Interessen, die jeder als Befürworter gegen andere Befürworter verfechten müsste, sondern das Parlament ist die beratende Versammlung einer Nation; mit einem Interesse, dem des Ganzen, das aus der allgemeinen Vernunft des Ganzen hervorgeht“7.
Abgeordnete sind Vertreter des ganzen Volkes. Dennoch stehen sie mit ihrem Mandat in einem besonderen Spannungsverhältnis. Es bewegt sich zwischen dem ihrer eigenen Überzeugungen, denen ihrer Wähler, gelegentlich sogar denen ihrer eigenen Partei. Max Weber, deutscher Klassiker der Kultur- und Sozialwissenschaften, rät deshalb dazu, „sich um das kümmern, was den Politiker angeht – nämlich die Zukunft und seine Verantwortung hierfür“8. Ein Politiker müsse sich klarmachen, dass sein Handeln unter zwei voneinander grundverschiedenen, gegensätzlichen Maximen stünde: einer gesinnungsethischen oder einer verantwortungsethischen Gesinnung. Beides sei nicht miteinander identisch, doch grundsätzlich müsse gelten, dass ein Politiker für die Folgen seines Handelns aufzukommen habe9.
Leidenschaft allein, meine Damen und Herren, macht längst nicht zum Politiker, das wissen wir. Deshalb mahnt Weber an, Politik müsse „mit dem Kopf gemacht“10werden. Es geht also um Verantwortlichkeit und Augenmaß, sowie um die Fähigkeit, Realitäten auf sich wirken zu lassen. Das muss entscheidender Maßstab allen politischen Handelns sein. Politiker können auch irren, was leider nicht zu verhindern ist. Umso mehr, wenn sie sich von festgefahrenen Meinungen oder Ideologien leiten lassen. Davor warnt Weber und gibt darüber hinaus zu bedenken, dass „selbst eine gute Absicht den Politiker von seiner Verantwortung nicht entlasten kann“10.
Dieser Verantwortung, meine Damen und Herren, müssen nun die sechs im Landtag vertretenen Parteien gerecht werden, mögen sie in ihren politischen Überzeugungen noch so unterschiedlich sein. Um es noch einmal zu unterstreichen: divergierende Auffassungen und Interessen sind Kennzeichen einer funktionierenden Demokratie. Das Eigene darf dabei verteidigt, das Fremde tunlichst nicht herabgewürdigt werden. Was man für sich beansprucht, soll man anderen nicht versagen. Und gewiss steckt in jeder Unterschiedlichkeit immerhin auch die Chance, Stärken gemeinsam auszuspielen. Geht es doch um nicht mehr und nicht weniger als um das Wohl und den Wohlstand Hessens und seiner Bürger, ihn zu erhalten und zu mehren und Schaden von ihm abzuwenden, meine Damen und Herren.
Dafür gibt es Handlungsbedarf. In unserer Bevölkerung gibt es trotz gegenwärtig ökonomischer Stärke existentielle Sorgen. Wir lebenin Zeiten mit rapide sich nicht immer zum Besten wandelnden Entwicklungen in Gesellschaft und Politik, in Kultur und Tradition. Wirtschaft und Industrie stehen vor einer neuen industriellen Revolution. Zwar bietetGlobalisierung viele Chancen, doch auch Risiken. Globale Märkte für Kapital, Güter, Dienstleistungen und Arbeitskräfte stellen sowohl die Grenzen der Nationalstaaten wie auch die Leistungsfähigkeit ihrer Volkswirtschaften infrage. Es bleibt dringlich zu fragen, wie viel nationale Souveränität, wie viel Nationalstaat, wie viele lokale Volkswirtschaften werden gebraucht und sind notwendig, wenn allein der technische Fortschritt in Digitalisierung, Automatisierung und künstlicher Intelligenz zu Verdrängungswettbewerben führt, der vor der Arbeitswelt nicht Halt machen wird.
Neben ökonomischen Veränderungen stellen zudem weltweite Migrationswanderungen unermessliche nationale und internationale Herausforderungen dar. Allein die Bevölkerungsexplosion Afrikas von heute 1,2 Mrd. auf 2,4 Mrd. Menschen im Jahr 205011wird europäische Staaten mit Schicksalsfragen konfrontieren. Die Frage wird sein, ob sie diesen gewachsen sind, und ob sie sie überhaupt bewältigen können. Zudem wird es um die Grundsatzfrage gehen müssen, ob es eine Welt ohne Grenzen, in der Staaten ihre eigene Souveränität, ihre eigene Kultur und ihre Identität aufzugeben bereit scheinen, überhaupt geben kann. Schließlich auch darum, wie es dabei um die Zukunft der Europäischen Union bestellt sein wird.
Entwicklungen wie diese betreffen auch das Land Hessen. Zudem müssen Antworten gefunden werden auf:
– eine ausufernd kostentreibende Energiepolitik,
– eine bedrohte Zukunft der Automobilindustrie,
– eine zunehmende Knappheit bezahlbaren
Wohnraums,
– ein immer noch ungelöstes Demographieproblem
– sowie auf eine gefährdete Gesundheits- und
Altersversorgung.
Und Mängel müssen beseitigt werden:
– in innerer und äußerer Sicherheit,
– im Bildungssystem,
– im Schutz von Natur und Landschaft
– sowie in Infrastruktur und Verkehr.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche uns für diese Aufgaben viel Kraft, auch Freude, und – wo nötig – Gelassenheit und Humor. Und das eingangs zitierte „fair play“. Unser Parlament ist Ort politischer Willensbildung, des miteinander Redens und des einander Zuhörens, wo übrigens niemand „gestellt“ werden muss. Jedem politisch Andersdenkenden gebührt Respekt und Achtung, wie überall in unserer demokratischen Gesellschaft. Und machen wir eines geschlossen deutlich: körperliche Angriffe auf Politiker, gleich gegen wen und wo sie stattfinden, sind abscheulich und müssen mit allen dem Rechtsstaat zur Verfügung stehenden Mitteln verfolgt werden.
In diesem Hohen Haus, meine Damen und Herren, darf gesagt werden, was geht, und was nicht geht. Zu tieferen Freundschaften wird das nicht unbedingt führen. Immerhin beachtlich, womit sich kürzlich ein Minister schmückt: Für ihn gebe eskeine „Ausschließeritis“. Er weiß, wovon er spricht. Die gestern noch Ausgegrenzten sind heute respektierter Teil des Parlaments. So wäre es nur ein Gebot politischer Vernunft und ein Akt der Normalisierung, wenn ein anderes Krankheitsbild einmal sein Ende fände, das der „Ausgrenzeritis“ gegenüber politisch Andersdenkenden. Das, meine Damen und Herren, käme einem realen Klimawandel gleich. Dazu genügte die uneingeschränkte Bereitschaft, andere Stimmen zu hören. Abraham Lincoln war bewusst: „Wer anderendie Freiheit verweigert,verdientsie nicht für sich selbst.“12
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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1wikipedia, Hessische Wahlperioden, Hessischer Landtag
2Zitat wird Holger Börner zugeschrieben, wikipedia
3Zitat wird Albert Oswald zugeschrieben, wikipedia
4Zitat Roland Koch, wikipedia
5Wahlspruch der Linksgrünen gegen „Rechts“, Landtagswahlkampf
6wikipedia, Ernst Fraenkel, Demokratietheorie
7Edmund Burke, Rede an die Wähler Bristols, wikipedia
8Max Weber, Politik als Beruf, München/Leipzig, 1919, Neuauflage Köln 2014,
9Max Weber, a.a.O.
10Max Weber, a.a.O.
11wikipedia, Bevölkerungsentwicklung Afrikas
12Zitat wird Abraham Lincoln zugeschrieben, wikipedia