Offener Brief an die Schulleitung, sowie an die Lehrkräfte und an die Schüler des Lampertheimer Lessing-Gymnasiums
Sehr geehrte Damen und Herren der Schulleitung,
sehr geehrte Damen und Herren Lehrkräfte,
liebe Schülerinnen und Schüler,
mit großem Bedauern nehme ich die Absage der Schulleitung des Lampertheimer Lessing-Gymnasiums zur Kenntnis, keinerlei Diskussion zwischen den Bergsträßer Bundestagskandidaten und den Oberstufenschülern im Vorfeld der Bundestagswahlen im Lessing-Gymnasium, wie es heißt „aus juristischen Gründen“, stattfinden lassen zu wollen.
Ich mahne als vor knapp drei Jahren pensionierter Studienrat für u. a. Politik und Wirtschaft an, dass mit dieser nicht nachvollziehbaren und einseitigen Absage den Schülern des Lampertheimer Gymnasiums grundsätzlich die Möglichkeit zur politischen Meinungsbildung – noch dazu vor einer wichtigen Bundestagswahl – genommen wird. In diesem Zusammenhang möchte ich aufmerksam machen auf Artikel 21 (1) des Grundgesetzes, in dem der Gesetzgeber ausdrücklich niederlegt, dass Parteien bei der politischen Willensbildung mitwirken, zudem auf die Bildungsstätte „Gymnasium“ an sich. Ihr landauf, landab häufig vorgetragener höherer Bildungsanspruch wird mit der nicht nachvollziehbaren Maßnahme der Schulleitung bewusst ausgeblendet. Dabei sollten Bildungsaufträge keineswegs unterbelichtet bleiben, stellen sie doch maßgebliche Leitlinien für alle verantwortlich Unterrichtenden dar, die es einzulösen gilt, um einem pädagogischen wie didaktischen Bildungsanspruch gerecht zu werden.
Die Verantwortlichen des Lessing-Gymnasiums in Lampertheim täten gut daran, sich dessen möglichst rasch zu erinnern. Das Lessing-Gymnasium beraubt sich und seine Schüler – noch dazu völlig ohne Not – einer anspruchsvollen Begegnung mit den Bergsträßer Bundestagskandidaten, einer Begegnung, die bekanntlich so oft nicht stattfinden kann. Gerade weil die ursprüngliche Einladung des Gymnasiums an alle Bergsträßer Bundestagskandidaten gerichtet gewesen ist, hat sie richtigerweise ein Zeichen gegen jeden möglichen Vorwurf einseitiger politischer Einflussnahme gesetzt. Es hätte somit wahrlich ein Gebot der verantwortlichen Lehrkräfte des Lessing-Gymnasiums sein müssen, jungen Menschen – in aller Regel sind Oberstufenschüler auch Erstwähler – Chancen zu belassen, um ihrerseits ins Gespräch mit Vertretern der verschiedenen Parteien, hier mit den Direktkandidaten der Bergstraße, zu kommen.
Neben dem nun nicht mehr stattfindenden Dialog zwischen Politikern und Schülern bzw. Jungwählern eines Gymnasiums erlaube ich mir einen Hinweis, der dem Namen des Gymnasiums in Lampertheim Würde verliehen hätte. Wenn mir auch nicht bekannt ist, welche Motive die Verantwortlichen seinerzeit bei der Namensgebung des Lampertheimer Gymnasiums leiten ließen, Zufälligkeiten dürften dabei gerade für ein Gymnasium gewiss keine Rolle gespielt haben. Eher stellen herausragende Charaktereigenschaften von Persönlichkeiten Merkmale dar, mit denen sich eine Schule nach innen wie auch nach außen hin präsentieren möchte. Ich hoffe sehr, dass man sich bei der seinerzeitigen Namensfindung „Lessing-Gymnasium“ an dem orientierte und auch heute orientiert, was im Allgemeinen und Besonderen über Gotthold Ephraim Lessing bekannt ist. So war Lessing „ein vielseitig interessierter Dichter, Denker und Kritiker. Als führender Vertreter der deutschen Aufklärung wurde er zum Vordenker für das neue Selbstbewusstsein des Bürgertums. Seine theoretischen und kritischen Schriften zeichnen sich aus durch einen oft witzig-ironischen Stil und treffsichere Polemik. Das Stilmittel des Dialogs kam dabei seiner Intention entgegen, eine Sache stets von mehreren Seiten zu betrachten und auch in den Argumenten seines Gegenübers nach Spuren der Wahrheit zu suchen. Diese erschien ihm dabei nie als etwas Festes, das man besitzen konnte, sondern stets als ein Prozess des sich Annäherns“ (Quellenangabe: Wikipedia). Hätten sich die Verantwortlichen des Lessing-Gymnasiums bei ihrer Absage der Diskussion zwischen Schülern und den Bundestagskandidaten der Bergstraße nur ein wenig an das hier Zitierte gehalten, es wäre gewiss nicht zu jener merkwürdigen Absage gekommen, noch dazu weil Anlass genug bestand, im Rahmen einer ausgewogenen Diskussion gerade im Sinne Lessings „eine Sache von mehreren Seiten zu betrachten“, vielleicht zu „Prozessen des sich Annäherns“ zu kommen, oder auch zum „Selbstbewusstsein des Bürgertums“ zu gelangen, dem die Schüler eines Gymnasiums bekanntlich per se nahe stehen.
Das Missliche der Absage offenbart jedoch noch Zusätzliches. Die Absage der Schulleitung, die glauben machen will, „juristische Bedenken“ lägen vor, sind nicht ernst zu nehmen. Selbstverständlich kann jede Bildungseinrichtung „Schule“, gleich welche Schulform, jederzeit externe Referenten oder Experten entweder in den Unterricht oder wie vorgesehen zu einer Podiumsdiskussion einladen. Das zu tun, wann immer sich dazu im Lehrplan Gelegenheit bietet, ist nicht nur absichtsvoll, sondern stellt unbestritten eine ergänzende Bereicherung in der schulischen Wissensvermittlung dar. „Juristische Bedenken“ existieren schon gar nicht gegenüber demokratisch verfassten Parteien oder ihren Vertretern, das nur zur Klarstellung. Während einer guten unterrichtlichen Praxis z. B. im Politikunterricht kommt es daher häufiger vor, dass sich gerade Oberstufenschüler als Leiter von Podiumsdiskussionen und als Diskutanten üben und bewähren können. Aus pädagogischer Sicht ist zu bedauern, dass mit der Absage der Diskussion den Schülern kein Raum zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit gewährt wird.
Die Lampertheimer Schulleitung des Lessing-Gymnasiums muss sich neben der hier vorgebrachten Kritik gefallen lassen, dass sie selbst es ist, die mit ihrem Nein zur politischen Podiumsdiskussion weiteren Anlass für bestimmte Vermutungen für ihre Absage gibt. Es dürfte inzwischen im Landkreis Bergstraße jedermann bekannt sein, dass seit mehr als vier Jahren die Partei Alternative für Deutschland (AfD) eindrucksvolle Zuwächse bei Mitgliederzahlen und Wählerstimmen aufzuweisen hat, sie stellt an der Bergstraße u. a. im Kreistag die drittstärkste politische Kraft dar. Drittstärkste politische Kraft ist die AfD seit den Kommunalwahlen im Frühjahr 2016 übrigens auch in Hessen. Eigentlich überflüssig noch darauf hinzuweisen, dass die AfD mittlerweile in fast allen Länderparlamenten, teilweise mit beeindruckenden Wahlergebnissen über der 20 %-Marke, vertreten ist. Und nun sind es nur noch wenige Wochen, dass die AfD auch in den Deutschen Bundestag einziehen wird, trotz aller – auch medialer – Schmähungen in der Öffentlichkeit.
Ist es daher wirklich abwegig, dass sich hinter der Absage der Schulleitung durchaus verbergen könnte, dem Bundestagskandidaten der AfD Bergstraße nach Möglichkeit keinen öffentlichen Auftritt zuzugestehen? Diese oder ähnliche Vermutungen sind keineswegs aus der Luft gegriffen, zeigt doch die gegenwärtige Praxis nahezu aller Gaststätten an der Bergstraße, dass man der AfD spätestens seit ihrer berechtigten Kritik an der Flüchtlingspolitik keine Räumlichkeiten mehr für ihre Veranstaltungen zur Verfügung stellt. „Nur“ den Bundestagskandidaten der AfD bei einer Podiumsdiskussion durch die Schulleitung des Lessing-Gymnasiums „auszuladen“, wäre allzu offensichtlich auf breiten Widerstand gestoßen, dem wollte sich die Lampertheimer Schulleitung offensichtlich nicht aussetzen. Deswegen müssen nun fadenscheinige „juristische“ Gründe herhalten. Hat die Schulleitung es deshalb lieber vorgezogen, gleich alle Bergsträßer Kandidaten auszuladen, wenn es „nur einem“ wirklich wehtun könnte? Und eine letzte Frage: was hielten oder halten eigentlich die Lehrkräfte und die Schüler von der Absage der Podiumsdiskussion? Sind sie in die Absage überhaupt miteinbezogen worden?
Mit freundlichen Grüßen,
Rolf Kahnt, Dipl.-Päd., StR a. D.