MdL der 20. Legislaturperiode Rolf Kahnt im Interview mit Wolfgang Thürk, Redakteur bei hessenschau.de, vom 17.01.2024
Bei der konstituierenden Sitzung des Landtags hält wieder ein Alterspräsident der AfD die Eröffnungsrede. Vor fünf Jahren tat das Rolf Kahnt, der später zum großen Widersacher seiner Partei wurde. Wie es dazu kam? Ein Interview.
Gerade mobilisieren ihre Gegner Demonstrationen in ganz Deutschland gegen sie, die Warnungen des Verfassungsschutzes vor rechtsextremistischen Bestrebungen werden dringlicher: Dem Höhenflug der AfD tut das keinen Abbruch. Bei der konstituierenden Sitzung am Donnerstag wird die Partei nach ihrem Erfolg bei der Hessen-Wahl erstmals seit ihrem Einzug 2019 die Rolle der größten Oppositionskraft in Wiesbaden einnehmen. Dass ein AfD-Politiker dann als Alterspräsident den Landtag eröffnet, ist keine Premiere. Vor fünf Jahren hatte bereits Rolf Kahnt diesen großen Auftritt. Damals mahnte der 78-Jährige, die anderen Parteien sollten die AfD nicht ausschließen. Nicht viel später, im Oktober 2020, schloss die Fraktion ihn aus, Kahnt verließ die Partei und trat fortan als einer ihrer schärfsten Kritiker auf. Das wirft im Rückblick Fragen auf.
hessenschau.de: Herr Kahnt, dem neuen Landtag werden Sie nicht mehr angehören. Vor fast genau fünf Jahren haben Sie das Parlament als Alterspräsident eröffnet. War das der größte Moment Ihres Politikerlebens oder Ihr größter Fehler?
Rolf Kahnt: Selbstverständlich war das ein großer Moment. So, wie meine Tätigkeit als Landtagsabgeordneter für mich insgesamt eine große Bereicherung war.
hessenschau.de: Sie waren aber nicht irgendein Abgeordneter. Die bundesweiten Schlagzeilen lauteten doch nicht: Kahnt eröffnet den hessischen Landtag. Sondern: AfD-Politiker eröffnet den Landtag. Sie haben einer Partei ins Rampenlicht verholfen, die Sie nur ein Jahr später verlassen haben, weil sie Ihnen zu rechtsextrem sei.
Kahnt: Parteien leben von unterschiedlichen Strömungen, die sie produktiv nutzen. Bereits in den ersten Monaten war erkennbar, dass ein interfraktioneller Diskurs in der AfD unerwünscht war. Das war ein kapitaler Fehler. Wer von der AfD-Linie abwich, bekam Schwierigkeiten. Das war bei mir und auch anderen Fraktionsmitgliedern der Fall. Nicht umsonst haben viele, die die Partei 2013 mit gegründet hatten, die Partei verlassen, auch weil der rechtsextreme „Flügel“ nach wie vor die innerparteiliche Deutungshoheit besaß und besitzt.
hessenschau.de: … also das völkische Lager um den Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke.
Kahnt: Genau. Die Chance, dass die AfD eine normale Partei hätte werden können, war und ist mit der Dominanz Höckes & Co vertan.
hessenschau.de: Aber fragen Sie sich im Rückblick nicht, warum Sie den Schritt nicht selbst und vor allem viel früher gemacht haben? Vor einer Radikalisierung hat Ex-AfD-Bundeschef Bernd Lucke schon 2015 bei seinem Abgang gewarnt.
Kahnt: Das ist richtig. Auf der anderen Seite habe ich immer noch daran geglaubt, dass man aus der AfD noch etwas anderes machen könnte: eine seriöse Partei, die von allen anderen ernst genommen wird. In ihrer Sprache und insgesamt in ihrem ganzen parlamentarischen Verhalten hat sich gezeigt, dass sie dazu nicht in der Lage war und es auch nicht will.
Mein Abstimmungsverhalten in den Ausschüssen war gegen diese extreme Strömung gerichtet und führte schließlich zu meinem Fraktionsausschluss.
hessenschau.de: Aber noch einmal: Auch der Verfassungsschutz war früh alarmiert, andere aus dem bürgerlichen Lager der AfD-Mitgründer sind früher gegangen.
Kahnt: Aber ja, ich hätte im Nachhinein gesehen die Partei früher verlassen können. Ich habe nach dem Einzug in den Landtag das Mandat als Chance betrachtet, dass ich mit dazu beitragen kann, dass sich die AfD nicht alle zum Feind macht, sondern seriös an Lösungen mitarbeitet. Und ich war ja nicht ganz allein mit dieser Hoffnung. Dass diese Chance nicht zu realisieren war, musste ich angesichts der vermehrt rechtsextremen Auffassungen in Fraktion und Partei erkennen.
hessenschau.de: Am Ende sind Sie im Landtag der schärfste Kritiker der AfD gewesen. Ich zitiere mal: Sie haben ihr „Hass und Hetze“ vorgeworfen, ein „abscheuliches Spiel mit der Angst“, „Hemmungs- und Skrupellosigkeit“. Lag es an Ihrem schlechten Gewissen, dass Sie so ausgeteilt haben?
Kahnt: Das war meine ehrliche Überzeugung. Dahinter stand der Gedanke: Wenn ich es nicht sage, wer dann? Ich wollte zumindest im kleinen Rahmen meiner Möglichkeiten warnen. Und ich wollte mich parteipolitisch wenigstens so abgrenzen, dass jeder weiß, wo ich stehe.
hessenschau.de: Viele, die sich zum bürgerlichen Lager zählen und spät aus der AfD austraten, reagieren so heftig wie Sie. Das sieht doch sehr nach einem gesteigerten Bedürfnis aus, sich vom Makel reinzuwaschen, viel zu lange geblieben zu sein. Dazu passt, dass Sie selbst mal im Landtag sagten, Sie würden nach jeder AfD-Rede am liebsten duschen.
Kahnt: Das spielt gewiss auch eine Rolle. Nach so einer zunehmend rechtsextremen Entwicklung mitsamt abenteuerlichen Positionen war es nötig, sich zu distanzieren und seine Entscheidung zu bekräftigen. Vielleicht bedurfte es dieser Bekräftigung auch gar nicht, und andere konnten erkennen: Da gibt es eine Veränderung beim Abgeordneten Kahnt, und die ist nachvollziehbar.
hessenschau.de: Hat Ihr gut-bürgerliches Umfeld Ihre Abkehr nachvollzogen? Sie sind ehemaliger Gymnasiallehrer, spielen Tennis im Verein: Da hatte Ihr Ansehen vielleicht gelitten, solange Sie bei der AfD waren.
Kahnt: Zu Beginn habe ich allerdings große Vorbehalte bei Freunden und Bekannten erlebt. Nachdem ich ausgetreten bin, ist nicht nur mir eine Last von den Schultern gefallen. Ich erlebe jetzt wieder mehr Freundlichkeit und Versöhnlichkeit.
hessenschau.de: Als Sie der CDU-Landtagspräsidentin Astrid Wallmann nach Ihrer letzten Rede Blumen überreichten, haben sich Ihre Ex-Fraktionskollegen vielleicht bestätigt gefühlt. Der Vorwurf lautete ja, Sie hätten sich den „Alt-Parteien“ parteischädigend angebiedert. Sie hätten nicht verkraftet, mit der AfD isoliert im Landtag zu sein.
Kahnt: Es geht nicht um Anbiederung, sondern um Respekt und Wertschätzung gegenüber der Leistung von Frau Wallmann. Ich habe die Arbeit gerade in den Ausschüssen als offenen Diskurs gesehen und für die Anträge anderer Fraktionen gestimmt, wenn sie überzeugend waren. Wenn die AfD Schwierigkeiten hat, andere Meinung überhaupt zu reflektieren, ist das ihr Problem und nicht meines.
hessenschau.de: Ginge es nach AfD-Fraktionschef Robert Lambrou, wären mit Ihnen und Männern wie Walter Wissenbach die Problemfälle weg und die neue Fraktion könnte nach einer wilden ersten Wahlperiode in Ruhe einen bürgerlich-konservativen Kurs fortsetzen. Wie schätzen Sie das ein?
Kahnt: Erst einmal schaden kritische Geister in keiner Fraktion. Viel Expertise ist von der neuen AfD-Fraktion nicht zu erwarten und auch kein Abweichen von der Parteilinie. Und die gibt immer noch Andreas Lichert vor …
hessenschau.de: … der Co-Landesvorsitzende, der sich offiziell zum Höcke-Flügel-Lager bekannt hatte.
Kahnt: Genau, und die haben nach wie vor das Sagen. Der eigentliche Strippenzieher ist Lichert, und Lambrou ist lediglich das bürgerliche Aushängeschild. Er spielt seine Rolle ganz gut, er wirkt nahezu überzeugend. Aber er kennt selbstverständlich die tatsächlichen Machtverhältnisse und ist darauf angewiesen, dass die Mitglieder ihn wiederwählen.
hessenschau.de: Wie Sie damals hält mit Bernd-Erich Vohl nun wieder ein AfD-Abgeordneter als Alterspräsident die Eröffnungsrede. Der Bundestag hat mit einem Trick in der Geschäftsordnung einen solchen Auftritt verhindert.
Kahnt: Dort hielt der dienstälteste Abgeordnete die Eröffnungsrede, weil der älteste ein AfD-Abgeordneter war. Ich rechne damit, dass die Rede am Donnerstag heftiger und weniger ausgewogen ausfällt. Hätte sich der hessische Landtag wie der Bundestag entschieden, wäre das aber nur Wasser auf die Mühlen der AfD gewesen. Sie hätte auch das in den Sozialen Medien instrumentalisiert. Da gibt es jede Menge Beifall, wenn die AfD sich als Opfer inszeniert. Ich finde es großartig, dass der Landtag sich souverän zeigt: Diese 20 Minuten eines AfD-Manns werden ausgehalten.
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